Donnerstag, Januar 11, 2007

Literatur und Journalismus


„Der Unterschied zwischen Literatur und Journalismus besteht darin, dass der Journalismus unlesbar ist und die Literatur nicht gelesen wird.“

- Oscar Wilde


Hmmm, soll ich mich wirklich daran wagen, die Worte des großen Meisters zu kommentieren? Nach kurzer Überlegung komme ich zu dem Schluss: ja, sicher, denn wie sagte Wilde selbst: „Allem kann ich widerstehen, nur der Versuchung nicht.“ Also, legen wir mal los!

Ich habe nun schon ein wenig Erfahrung im journalistischen Schreiben und aus der jüngeren Vergangenheit auch im literarischen. Für mich liegt der Hauptunterschied in den Regeln, die für die jeweilige Gattung gelten. Das journalistische Schreiben ist noch stärker handwerklich geprägt, als das das literarische. Im Vordergrund steht das Bemühen, den Inhalt des Textes so allgemein verständlich zu präsentieren, dass jeder Leser ihm folgen kann. Der vermutete Rezipient wird am unteren Ende der Wissens- und Verständnisskala angesetzt, alles soll ihm erklärt werden und man darf ihn ja nicht durch Fremdworte und komplexere Satzstrukturen verschrecken. Es scheint, als wäre der durchschnittliche Leser ein sehr scheues Tier, das leicht durch Syntax und Semantik aus der Bahn zu werfen ist. Sätze sollen kurz, aktiv und knackig (mein persönliches Unwort des Jahres) sein, am Besten reine Hauptsätze, nur im Ausnahmefall mag ein Nebensatz mal in Ordnung gehen. Die Passiv-konstruktion ist dem Journalisten so verhasst wie dem Teufel das Weihwasser, um gleich in diesem Satz noch eine weitere Kardinalsünde zu begehen – das Verwenden von Wortschablonen. Nun geben wir noch dem überflüssigen Adjektiv den Todesstoß und richten unseren Text- und Informationsfluss am Prinzip der umgekehrten Pyramide aus, und schon haben wir den perfekten journalistischen Text, oder?

Ganz so leicht ist es leider nicht. Mag ich mich auch beizeiten an den strengen Regeln des Journalismus stören, so muss ich doch zugeben, dass sie ihre Berechtigung haben für Texte, deren Gebrauchsnutzen das verständliche Weitergeben von Information ist. Wer sich schon einmal über einer schlechten Gebrauchsanweisung für ein elektrisches Gerät schwarz geärgert hat, weiß es bestimmt gleich zu schätzen, wenn ein Text klar strukturiert und schlicht gehalten ist. Neben die handwerkliche Kunst in der Formulierung tritt aber mindestens genauso wichtig die Beschaffung und Verifizierung der zu transportierenden Information – gemeinhin auch als Recherche bekannt. Ziel hierbei sollte es sein, möglichst korrekte und allgemein gültige Fakten über ein Ereignis oder die Zusammenhänge, in denen es steht, in Erfahrung zu bringen. Aus der Synthese von Recherche und Darstellung entsteht nun ein Beitrag, der den Leser informiert, ihm Dinge nahe bringt, die er entweder noch nicht wusste oder nicht in vollem Umfang erfassen konnte. Ziel des Beitrags ist es also, dem Leser vom Nutzen zu sein. Wir erweitern also unsere Definition des durchschnittlichen Lesers: er ist ein sehr scheues Tier, das leicht durch Syntax und Semantik aus der Bahn zu werfen ist, aber den starken Drang hat, sich zu informieren und komplexe Zusammenhänge zu erfassen, die ihm zuvor noch nicht bekannt oder schlüssig waren.

Nun fehlt uns nur noch ein weiterer wichtiger Aspekt des journalistischen Schreibens – die Objektivität. Beim Erstellen eines Beitrages soll der Verfasser in den Hintergrund treten, seine eigene Meinung möglichst vergessen, und dem Leser die ungeschminkte, unverfälschte Wahrheit präsentieren. Ich ignoriere hier im Augenblick mit Absicht die meinungsgeprägten journalistischen Darstellungsformen, wie den Kommentar oder die Glosse, und verzichte ebenso auf eine Definition des Begriffes „Wahrheit“ - beides würde den Rahmen dieses Blogbeitrages eindeutig sprengen. Die erklärte Absicht des Journalisten ist es also, die Vorgänge, über die er berichtet, möglichst objektiv und allgemeingültig zu präsentieren, um dem Leser die Möglichkeit zu geben, sich selbst eine Meinung zu bilden und sich nicht vom Informierenden manipulieren zu lassen. Wir schließen wiederum invers auf den Leser und erweitern erneut unsere Definition: er ist ein sehr scheues Tier, das leicht durch Syntax und Semantik aus der Bahn zu werfen ist, aber den starken Drang hat, sich zu informieren und komplexe Zusammenhänge zu erfassen, die ihm zuvor noch nicht bekannt oder schlüssig waren, und zugleich jede Form der Manipulation ablehnt, die auf seine Meinungsbildung Einfluss zu nehmen sucht.

Betrachten wir nun schlicht, subjektorientiert und objektiv die Definition unseres durchschnittlichen Lesers, so kommen wir kaum umhin zuzugeben, dass er deutlich anspruchsvoller und komplexer ist, als wir zunächst angenommen haben. Ein journalistischer Beitrag, der alle diese Kriterien erfüllt, ist also doch nicht so leicht zu schreiben und läuft, gemäß Oscar Wilde, Gefahr, unlesbar zu werden. Es könnte also leicht passieren, dass der Text umfassend und meinungsfrei informiert, dabei aber leider den Reiz verliert, mit Vergnügen gelesen zu werden.

Schlagen wir nun den Bogen zur Literatur und vergleichen ihr Entstehen direkt mit dem journalistischen Schreiben. Meiner eigenen chaotisch-strukturierten Natur entsprechend, möchte ich gleich das Pferd von hinten aufzäumen und bei der Objektivität beginnen. Der literarisch Schreibende transportiert seine eigenen Eindrücke und Gedanken in seinen Texten und schert sich herzlich wenig um Allgemeingültigkeit. Er legt es geradezu darauf an, den Leser hinters Licht zu führen und ihm immer nur genug Information zu geben, damit er die angestrebte Reaktion zeigt. Sei es der Krimiautor, der nur gut versteckte Hinweise ausstreut und falsche Fährten legt, bis sein Protagonist im letzten Kapitel den Fall löst, oder auch der Autor des Liebesromans, der die Handlung nur aus der Sicht eines der Liebenden schildert und so durch diese gefärbte Brille eine vorinterpretierte Sicht der Welt als einzige zulässt. Gerade diese Beschränkung auf die Sichtweise und Erfahrungswelt des Autors ist es, die es interessant macht, sein Werk zu lesen, und die den Leser für ein paar Stunden aus seinem Alltag abholt und in eine andere, meist interessantere Welt entführt.

Die Recherche sollte der Autor dabei genauso wenig vernächlässigen wie der Journalist. Der Autor arbeitet immer mit einem Abbild der Welt, egal ob er fiktiv oder historisch schreibt. Dabei muss er sich bemühen die Realität seiner Fiktion möglichst dicht und täuschend echt zu gestalten, damit der Leser nicht durch kleine, falsch recherchierte Details aus der Bahn geworfen wird. Stößt sich beispielsweise der Leser eines historischen Romans daran, dass die Protagonisten im Deutschland des 13. Jahrhunderts eine Kartoffelspeise verzehren, so wird er generell misstrauisch gegen die anderen, essentiellen Elemente der Handlung eingestellt sein. Die fiktive Realität ist gebrochen und entlarvt, der Leser nicht mehr von der Handlung gefesselt, sondern in einem Metadenken verfangen, dass ihn ständig überprüfen lässt, ob noch weitere Fehler im Dargestellten zu finden sind ... wenn er nicht einfach enttäuscht das Buch in die Ecke pfeffert.

Kommen wir nun zur sprachlichen Gestaltung des literarischen Schreibens. Erfreulicherweise ist diese so vielfältig, dass noch viele Generationen von Literaturwissenschaftlern sich an ihr vergehen können. Verallgemeinernd lässt sich zu ihr nur sagen, dass die sprachliche Gestaltung dem Genre und dem Zweck des Textes angemessen sein sollte. Sie muss ihre Wirkung beim Leser entfalten, ihn verführen, sich auf die Handlung einzulassen und zu ignorieren, dass er gerade im Zug oder auf seinem Sofa sitzt und sich nicht wirklich am fiktiven Ort der Handlung befindet. Sie bringt nicht die entscheidenden Punkte zuerst, ist nicht schlicht und allgemein verständlich, setzt stattdessen auf jeden Kunstgriff, der beim Leser, statt dem Intellekt, die Gefühle anspricht. Daraus ergibt sich auch, dass der durchschnittliche Leser literarischer Erzeugnisse nicht ganz so einfach zu definieren ist. Er kann jeder sein, der sich auf den Text einlässt und bereit ist, sich von ihm entführen zu lassen. Hierin liegt auch die Schwierigkeit, die passende Literatur an den geeigneten Leser zu bringen, die leider oft genug zu Oscar Wildes Aussage führt, dass „die Literatur nicht gelesen wird.“

Langsam wird es wohl Zeit für ein Fazit dieses langgezogenen Textes, den Du, geneigter Leser, bis hierher verfolgt hast. Soll das Fazit sein, dass Literatur höher steht als Journalismus, edler und schwerer zu schreiben? Mitnichten! Die zwei Gattungen sind eher wie Äpfel und Birnen – süß und wohlschmeckend, wenn sie reif sind – aber letztendlich kaum miteinander zu vergleichen. Sie haben unterschiedliche Zielrichtungen und Absichten, und sie sind beide für sich wichtig und wertvoll. Die eine nährt unseren Kopf, die andere unseren Bauch – und wirklich gute Exemplare bewerkstelligen beides. Schlechte Exemplare nähren nur die Würmer und verursachen Bauchschmerzen. Für mich hat beides seinen Reiz, aber ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich mich beidem widmen möchte – schließlich habe ich einen großen Kopf und einen großen Bauch!

Ich hoffe sehr, dass Oscar Wilde mir posthum diesen kleinen Exkurs verzeihen möge und nicht mit diesen Worten über ihn urteilen würde: „Gesegnet seien jene, die nichts zu sagen haben und den Mund halten.“

1 Comments:

Anonymous Anonym said...

I love you all and I deeply implore you to keep the lasagna flying.

-RAW-

5:24 PM  

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