Mittwoch, März 14, 2007

Under the Bridge

Viel hat sich getan – so viel, dass ich schon länger nicht mehr dazu gekommen bin, diesen Blog auf den aktuellen Stand zu bringen. Also, ein Update, wie wir modernen Neudeutschen so gerne sagen.

Mein Lehrgang in Online-Journalismus neigt sich dem Ende zu. Seit etwa einer halben Stunde bin ich frisch gebackenes Neumitglied bei Ver.di, genauer gesagt der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union in ver.di. Meine beruflichen Aussichten sind auch nicht so schlecht. Letzte Woche haben wir eine Pressekonferenz für ConAction, Münchner Streetworker, die sich um suchtgefährdete und wohnungslose Jugendliche kümmern, organisiert. Das Presseecho hat unsere Erwartungen absolut übertroffen. Alle großen Tageszeitungen (außer der BILD) und vier Radiostationen haben große Beiträge gebracht, AZ und SZ haben sogar am Wochenende noch mal nachgelegt. Besonders erfreulich ist, dass wir uns gegen die Konkurrenz eines in München sehr wichtigen Ereignisses durchgesetzt haben – den Starkbieranstich am Nockherberg. Es scheint so, als hätten wir den Nerv getroffen.

Die Pressekampagne hat auch für mich neue Einsichten gebracht. In früheren Jahren hat man oft Punks und Obdachlose an den bekannten Plätzen in München gesehen, doch in letzter Zeit hat man davon kaum noch etwas mitbekommen. Es konnte leicht der Eindruck entstehen, dass es diese Probleme nicht mehr gibt. Im reichen München leben doch keine Jugendlichen auf der Straße, oder?

Weit gefehlt.

Im Vorfeld der PK hatte ich Gelegenheit mit einem betroffenen Jugendlichen ein Interview zu führen, das auch in unsere Pressemappe Eingang gefunden hat. Er hatte eine Menge zu erzählen von Alkohol, Drogen, Schnorren und dem Schlafen in Parks oder über Warmluftröhren im Englischen Garten. Wäre seine Geschichte ein Einzelfall, so wäre sie nicht weniger bedauerlich, aber sie würde sich nicht als echtes Problem im Gesamtzusammenhang darstellen. Die Zahlen von ConAction sprechen eine andere Sprache. Im letzten Jahr hatten die Streetworker Kontakt zu 439 Jugendlichen auf der Straße. Wie viele davon obdachlos sind, kann man nur schätzen – sicher weiß man es von etwa 40, die Dunkelziffer liegt mit Sicherheit höher.

Was treibt diese jungen Menschen auf die Straße? Romantische Vorstellungen vom abenteuerlichen Leben in Freiheit mit Sicherheit genauso wenig wie grundlose Nullbock-Haltung. Hinter jedem Schicksal steckt eine individuelle Leidensgeschichte. Massiver Ärger mit trinkenden und prügelnden Eltern, überzogener Leistungsdruck, mangelndes Selbstvertrauen, sexueller Missbrauch – die Liste ist schier endlos. Wen wundert es, wenn diese Jugendlichen zur Flasche und zum Joint greifen, um für ein paar Stunden ihr Leben zu vergessen?

Mich nicht.